Als Aargauer unterwegs

Spass auf schmalen Reifen

Wie ich die Königsetappe erlebt habe

Interessiert am Kampf mit den Spitzkehren und der Höhendifferenz?

Wir sind auf dem Euroride 2004, der Rückfahrtmit dem Renner von Calpe (E) nach Kallnach bei Bern (CH). Wir haben nun mittlerweile weit über 1000 KM in den Beinen, auch die Höhenmeter haben sich mittlerweile zu einer erklecklichen Zahl summiert.

Die letzte Nacht verbrachten wir in Guillestre, am Fusse des Col d’Izoard.

Wir starten um neun Uhr und fahren in gemächlichem Tempo nach Briancon. Unser Tagesziel heisst heute Saint Jean de Maurienne. Dazwischen liegen die Tour de France-Pässe: Lautaret, Galibier und Telegraph. An die morgendliche Frische haben wir uns in den letzten Tagen schon gewöhnt. Der kurze Ăśbergang nach etwa 16 Km Fahrt bringt uns vorĂĽbergehend kurz ins Schwitzen. Die Abfahrt nach Briancon verläuft wegen des Morgens noch fast ausschliesslich im Schatten und kĂĽhlt uns auch gleich wieder ab. Kurz vor Briancon hat ein Gruppenmitglied noch einen “Schleicher” eingefangen und wir mĂĽssen den Schlauch wechseln. Nach etwa einem ViertelstĂĽndigen Unterbruch können wir weiterfahren und finden in Chantemerle ein geöffnetes Restaurant. Hier warten wir auf unsere Kollegen, welche ĂĽber den Izoard gefahren sind, und nehmen gemeinsam das Mittagessen ein. Wie ĂĽblich gibt es Teigwaren. Doch diesmal können wir wählen zwischen Tomatensauce und Carbonara.

Anschliessend machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Er wird uns während ca 20 km auf den Col du Lautaret, und eine Höhe von 2058 MüM bringen. Höhendifferenz ca 650 Meter, gemessen ab dem Mittagessen.

Die Passstrasse ist gut ausgebaut, regelmässig ansteigend, zwei oder drei kürzere, fast ebene Stücke. Ich trinke regelmässig aus meinem Wasserbidon. Denjenigen mit dem isotonischen Zusatz behalte ich für später auf. Aus unserem Begleitfahrtzeug werden Bananen und Schokoladenriegel verteilt. Ich verzichte aber auf das Essen während der Fahrt. Da wir unser Tempo dem langsamsten Gruppenmitglied angepasst haben, mühen wir uns alle gleichmässig den Berg hinauf. Die einen, die stärkeren unter uns, gesprächeln noch, andere Schwitzen einfach strampelnd vor sich hin.

Nach vielleicht eineinhalb Stunden kommen wir auf dem Lautaret an. Unser Begleitfahrzeug steht schon bereit. Die beiden Wassertanks (mit und ohne isotonischen Zusatz), sowie Bananen und Schokoladenriegel sind bereit.

Ich steige vom Rad, schiebe schnell eine Banane und eine Schokoriegel zwischen die Zähne und fülle meinen Wasserbidon. Nach nur wenigen Minuten sind wir schon wieder auf dem Rad in Richtung Col du Galibier. Wir fahren nun nicht mehr in der Gruppe, sondern jeder einzeln.

Aus der Strassenkarte weiss ich, dass nun acht Kilometer Fahrt und etwa 500 Höhenmeter vor mir liegen. Ich versuche den “Tramp” von vor dem Lautaret wieder zu finden. Im Kopf rechnet es Höhenmeter, Kilometer, %-Steigung. Die ersten paar hundert Meter haben eine vernĂĽnftige Steigung. Es gelingt mir einen guten Rhythmus zu finden. Die Kette liegt auf dem zweitobersten Ritzel, der Tachometer schwankt zwischen 8 und 9 km herum. Also rechne ich mit einer knappen Fahrstunde bis zur Passhöhe.

Das Teilnehmerfeld hat sich in die Länge gezogen. Gemäss meinen Erwartungen aus den letzten Pässen liegen die meisten Gruppenmitglieder vor mir. Einer überrascht mich allerdings, dass er vor mir ist. Ich beginne wieder zu rechnen. Vielleicht noch 7 Km Distanz um ihn einzuholen. Müsste eigentlich zu schaffen sein. Nur immer schön regelmässig Wasser trinken. Hunger? nein. Brennen/Übersäuern die Beine? nein. Also: bei der nächsten Möglichkeit, statt herunterschalten, aufstehen und ein paar hundert Meter stehend fahren.

Die Kette liegt immer noch auf dem zweit obersten Ritzel. Der Kollege von vorne rückt näher. Eine Spitzkehre, eine Schneemauer. Nach der Schneemauer steht der Kollege am Strassenrand. Im Vorbeifahren schnell ein paar kurze Worte über sein Wohlbefinden oder Probleme mit dem Rad? Nein nichts, einfach einen Moment warten. Geschafft! überholt! Nur nicht abreissen lassen.

Die Strasse wird etwas ebener. Ich versuche einen kleineren Ritzel, stehe auf und trete ein paar hundert Meter. Ungefähr die Hälfte der Kilometer ist mittlerweile geschafft. Die Sonne ist definitiv verschwunden. Es wird kalt zwischen den Schneemauern. Das Auge versucht die Passhöhe herauszufinden. Wo ist der Übergang? Sieht man den Tunneleingang? Das Chalet du Galibier? Ich werde von unserem Begleitfahrzeug überholt. Das Ohr versucht herauszufinden, wie die Strasse verläuft. Schaltet er höher oder tiefer? Doch der Schnee scheint schon nach wenigen Metern alles zu ersticken.

Wieder eine Spitzkehre. Kurz zuvor ein Blick zurück. Mein überholter Kollege ist mittlerweile weit zurück. Er wird mich kaum mehr einholen können.

Die Strasse wird massiv steiler. Ich muss die Kette wieder einen Ritzel höher legen. Die angezeigte Geschwindigkeit auf dem Tachometer sinkt unter 8 km/h. Im Kopf rechne ich die verbleibende Zeit nach. Ist es noch möglich, den Pass innerhalt der ursprünglichen Stunde zu erreichen? Glaube ja, bin jetzt ja längere Zeit über 8.5 km/h gefahren. Stehe auf, und fahre ein paar Meter stehend.

Die Oberschenkel beginnen zu brennen. Schnell die Kette auf den letzten, den grössten Ritzel legen und absitzen. Glück gehabt. Der Schmerz ist vorbei. Die Geschwindigkeit kann ich mittlerweile bei ca 7.5 km/h wieder halten. Eine weitere Spitzkehre. Das Auge glaubt weit oben einen Strassenabschnitt erkannt zu haben. Ja, richtig. Unser Begleitfahrtzeug überholt dort gerade die vordersten Gruppenmitglieder. Das Auge verfolgt das Auto. Das Gedächtnis prägt sich die Strecke ein.

Die Strasse scheint wieder etwas ebener zu werden. Schnell den Versuch, die Kette wieder einen Ritzel tiefer zu legen. Es gelingt. Die Geschwindigkeit schwankt nun wieder zwischen 8 und 8.5 km/h hin und her. Vor der nächsten Schneemauer kurz ein Blick hinunter zu meinen überholten Kollegen. Sie verlieren immer noch an Distanz auf mich.

Mittlerweile fallen erste Regentropfen aus den Wolken. Sie fühlen sich wie Nadelstiche auf meinen heissen Oberschenkeln. An den Armen (immer noch kurzärmelig) sehe ich, dass es ganz kleine Hagelkörnchen sind. Vermutlich muss die Temperatur jetzt irgendwo gegen null Grad sein. Ich kämpfe weiter, nur nicht anhalten, sonst verliere ich den Rhythmus. Ein weiterer Schluck aus der Flasche mit dem isotonischen Zusatz. Sogar das Getränk ist mittlerweile eiskalt. Wenn das nur keine Magenkrämpfe gibt.

Dann eine oder zwei weitere Spitzkehren. Aus dem was ich mir vorhin beim Beobachten des Autos gemerkt habe kann es nicht mehr weit sein. Das Ohr versucht wieder etwas heraus zu hören. Ein nahes Bächlein übertönt aber alles. Ein weiterer Schluck aus der Flasche und dann die nächste Spitzkehre.

Die Schneemauer verdeckte den Blick auf unser Begleitfahrzeug. Da stehen alle meine Kollegen und das Auto. Noch 50 Meter und ich habe es auch geschafft. Die Beine drehen fast wie von alleine. Der Körper scheint irgendwelche Glückshormone auszuschütten. Vergessen ist alle Mühe und aller Kampf. Der aufkommende Magenkrampf geht schnell wieder vorbei. Muss wahrscheinlich eben doch das kalte Wasser aus der Flasche gewesen sein. Ein kurzer Blick auf das Alpenpanorama und dann schnell ein Foto auf der Passhöhe und in die wärmenden Kleider und Überzüge, welche uns das Begleitfahrzeug nach oben gebracht hat.

Wasserflasche und isotonisches Getränk auffüllen, eine Banane und einen Schokoriegel zwischen die Zähne schieben. Noch ein Getreideriegel und einen Schluck Wasser.

Nach dem Eintreffen der abgehängten Kollegen ein Gruppenfoto und weiter geht es durch das Tunnel des Col du Galibier. 20Km Abfahrt in eisiger Kälte und mit viel Spritzern des Schmelzwassers stehen vor uns und anschliessend der letzte Pass für den heutigen Tag, der Col du Telegraph.

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Autor: Urs

Würde mich eher als Tourenfahrer bezeichnen. Radfahren war schon in der Jugendzeit meine Leidenschaft. Doch auch dann schon eher für lange Ausflüge. Mit der Zeit gesellten sich die Fotographie dazu und teilweise beruflich bedingt auch das Interesse an IT, an Software. Damit war der Grundstein für dieses Weblog gelegt. Seit dem Jahre 2004 schreibe ich hier ziemlich regelmässig über meine Fahrten.

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