Als Aargauer unterwegs

Spass auf schmalen Reifen

Euroride auf den Spuren von Hannibal?

Hannibal in den westlichen französischen AlpenDie NZZ brachte in der heutigen Ausgabe einen längeren Bericht, anlässlich der Tatsache, dass Hannibal vor 2222 Jahren über die Alpen zog. Während des Lesens dieses Berichtes, wurde mir bewusst, durch welch geschichtsträchtiges Gebiet wir bei unserer Rückfahrt von Spanien gefahren sind. In einzelnen Tagesberichten habe ich schon darauf hingewiesen, dass ich den Eindruck erhalten habe, dass da und dort zu Römerzeiten vermutlich einiges los gewesen sein müsste. Baureste und Ruinen könnten davon Zeugnis abgeben.

Wo Hannibal ĂĽber die Alpen zog

Vor 2222 Jahren zog der karthagische Feldherr durch das Tal der Arc in Savoyen

Warum will Savoyen nichts von Hannibal wissen? Der junge karthagische Feldherr Hannibal zog vor 2222 Jahren mit einem riesigen Heer samt Elefanten und Pferden über die französischen Westalpen. Er hatte vor, die Republik Rom zu zerschlagen, um die phönizischen Niederlassungen rund um das Mittelmeer zu sichern.

Doe. Bramans, im September

Im Tal der Arc wissen wenige von Hannibals tollkĂĽhner Alpen-Traverse und darĂĽber, dass der karthagische Feldherr mit 37 Afrikanischen Elefanten, Tausenden von Pferden, numidischen und libyschen, spanischen und gallischen Soldaten und Söldnern genau hier vorbeikam. Bramans ist ein verschlafenes Nest in der Haute Maurienne, wie das Arc-Tal in Savoyen heisst. Die junge Dame im Office de Tourisme von Bramans sagt, der Hannibal-Zug sei “eine Möglichkeit”; sie bedaure, keine Unterlagen zu haben, wenn Gäste Näheres wissen wollten. Auf eine schriftliche Anfrage hin lautet die Antwort, Hannibals Marsch ĂĽber die Westalpen ins Piemont, etwa zwölf Kilometer östlich von Bramans, am Lac de Savine vorbei, sei reine Spekulation, es gebe keine Beweise dafĂĽr. Anderer Meinung ist in St-Jean, dem Hauptort der Maurienne, der Präsident der lokalen geschichtsforschenden Gesellschaft, Pierre Dompnier. Er glaubt an die historischen Belege fĂĽr die Hannibal-Route und freut sich, den Gast nicht erst ĂĽberzeugen zu mĂĽssen. Doch fĂĽr regionale Imagepflege oder Tourismuswerbung mag sich der pensionierte Gymnasiallehrer nicht einsetzen.

Napoleon – das reicht
Hannibal ins allgemeine Bewusstsein der Einheimischen zurĂĽckzuholen, scheint ein mässiges Unterfangen, solange sie auf Napoleon als Erbauer der modernen Strasse im Tal und ĂĽber den Mont Cenis und damit als wirtschaftlichen Wohltäter pochen. “Il Ă©tait quand-mĂŞme un des plus grands francais”, wie der stellvertretende BĂĽrgermeister eher kurz angebunden meint. Gegen den immer noch zu Unrecht verehrten Kaiser anzutreten, ist fĂĽr einen antiken Nordafrikaner in Frankreich schwer, doppelt schwer, wenn einerseits handfeste archäologische Beweise fehlen und anderseits die Legendenbildung mager ist, da sie im Laufe von 2000 Jahren versandete. Und doch wird es in diesem Spätherbst 2222 Jahre her sein, dass Hannibal, aus Spanien kommend und der Rhone folgend, mit einem schlagkräftigen Heer von gegen 50 000 Mann durch das Arc-Tal gezogen ist.

Unterliegt dieses spannende Detail der europäischen Geschichte etwa noch wissenschaftlichem Streit? Oder ist es eine Ermessensfrage oder gar ein Glaubensakt, dass hier eine erste Irreführung des römischen Feldherrn Scipio durch Hannibal den Auftakt des Zweiten Punischen Kriegs bildete, den der erst 25-jährige karthagische Feldherr ins Kerngebiet der römischen Republik trug? Zuerst hatte Scipio ihn auf der leichteren Route entlang dem Mittelmeer erwartet, um die Invasion zu stoppen, dann zog Scipio zum Aosta-Tal, weil er annahm, Hannibal werde der Isère bis zum Kleinen St. Bernhard folgen, der damals der leichteste Übergang war. Aber wie gut 1700 Jahre später François 1er die Eidgenossen überrumpelte, indem er einen anderen Pass als den erwarteten wählte, um sie dann bei Marignano zu schlagen, gelang dem Karthager die Täuschung seiner Gegner, die er am Ticino ein erstes Mal schlug.

Welcher Pass?
Nein, es ist seit vielen Jahrzehnten keine Streit- oder Ermessensfrage mehr, dass das karthagische Heer Anfang November 218 vor unserer Zeitrechnung, zwischen dem Mont Cenis und dem Mont Genèvre, von gallischen Führern über einen damals viel begangenen Pass ins Piemont, die damals noch nicht römische Gallia cisalpina, geleitet wurde. Dieser Pass, der Clapier, hat im Laufe der Jahrhunderte Anlass zu einiger Verwirrung gegeben, weil er in einem Gebiet liegt, wo alle paar Kilometer ein Übergang den Westalpen-Kamm zwischen Frankreich und Italien quert. Denn die antiken Quellen nennen keine Orte, sondern enthalten Angaben über Marschzeit oder Distanzen. Noch ist auf grossmassstäblichen Karten ein Pfad über den Col du Clapier eingezeichnet. Wenige hundert Meter daneben liegt ein zum Teil verschütteter, uralter Weg über den Col de Savine- Coche. Und dieser, der Savine-Coche, war zusammen mit dem Clapier Hannibals Alpenpass.

Erst viel später, seit dem 13. Jahrhundert, kam der Col du Mont Cenis in Gebrauch. Da beim Aufstieg aus dem Tal von Bramans ein nach Nordosten abzweigender, nach VerschĂĽttung der alten Route wohl zuerst im 8. Jahrhundert von Karl dem Grossen benutzter Pass noch heute Col du Petit Mont Cenis heisst, wurden die Cenis- Ăśbergänge des öfteren mit den sĂĽdlicher liegenden Clapier und Savine-Coche verwechselt. So entstand auch fĂĽr ernsthafte Wissenschafter ein historisch-geographisch-topographisches Chaos, das auf ungenauer LektĂĽre oder mangelnder Kritik der historischen Texte sowie Unkenntnis der Lage und der verschiedenen Angaben auf Karten beruhte. Dazu mischten sich immer wieder Abenteurer in die Diskussion – vereinzelt von hohem Rang in anderen Fachgebieten – und publizierten noch in den fĂĽnfziger Jahren des letzten Jahrhunderts BĂĽcher, die der Fachliteratur “nur” voraushatten, dass sie medienwirksam daherkamen und deshalb Aufmerksamkeit erregten.

Mit Polybios in der Hand
Die Fachliteratur war damals vorwiegend französisch und deutsch, während die “KnĂĽller” englisch geschrieben waren. Das ist noch immer so, obwohl es gar keine neue Literatur zum Thema mehr braucht. Denn ausgerechnet hier in Bramans hat einer der Forscher gelebt, die mit wissenschaftlichen Methoden die letzten Zweifel an Hannibals Alpen-Traverse auszuräumen wussten; es war der französisch schreibende englische Arzt, Historiker und Geograph Marc-Antoine de Lavis- Trafford. Ein anderer unbeirrbarer Wahrheitssucher war der ZĂĽrcher Althistoriker Ernst Meyer, bekannt fĂĽr sein Hauptwerk “Römischer Staat und Staatsgedanke”. Ihre wesentlichen Publikationen zu Hannibals Alpen-Traverse ĂĽber den Savine-Coche/Clapier liegen ein halbes Jahrhundert zurĂĽck. Der Pass ist 1961 vom Innenministerium in Paris zur Erinnerung an den Gelehrten formell in Pas de Lavis-Trafford umbenannt worden. Die erste scharfsinnige, wieder in Vergessenheit geratene Analyse eines Franzosen ist Ăśbrigens nicht weniger als 120 Jahre alt! Ihnen allen gelang der Nachweis der Route dank stringenter Quellenkritik – gleichsam mit dem antiken Standardwerk des Polybios als ReisefĂĽhrer in der Hand.

Machen wir uns selbst auf den Weg. Unterkunft bietet oberhalb Bramans das Berghaus “Chambre d’HĂ´te Lavis-Trafford”. Es ist nicht mehr im Besitze der Familie des Forschers, sondern gehört einem BergfĂĽhrer-Hotelier-Paar, das seit vier Jahren wirtet. Er, François de GrolĂ©e, ist hier aufgewachsen und liest mit Begeisterung in den von Lavis-Trafford hinterlassenen Schriften. Seine Frau Florence ist ebenfalls eine ĂĽberzeugte Anhängerin von dessen Darstellungen, die neben provenzalischen Themen das an Geschichte reiche Tal der Maurienne kulturhistorisch fassen. Lavis-Trafford hatte auch auf seine Kosten die Ruinen der romanischen Kirche St-Pierre d’Extravache restaurieren lassen – auch sie an der einstigen Route des Karthagers gelegen.

Wie einst Hannibal haben wir es auch ohne Elefanten, Pferde, Heer und Tross eilig, voranzukommen. Leider lässt das Wetter sehr zu wĂĽnschen ĂĽbrig, so dass der recht steile Anstieg aus dem Tal ĂĽber die Crousta besser auf dem Mont Cenis umfahren wird. So verschafft man sich mit dem Gastgeber als bewandertem FĂĽhrer und Skilehrer den Ăśberblick ĂĽber das Passsystem am Mont Cenis. Doch später versinkt auch der Lac de Savine im Nebel, nur die scharfen Dents d’Ambin grĂĽssen kurz aus dem Gebrodel – ĂĽber den Col d’Ambin zog sicher nie ein Heer. Von dort kam auch der Felssturz, der den Savine- Coche-Weg am Ostufer des Seeleins verschĂĽttete.

Die Poebene in Reichweite
Auf der langgezogenen Alp am Bergsee auf gut 2400 Metern Höhe konnte sehr wohl ein Heer sein Lager aufschlagen, wie es der griechisch- römische Historiker Polybios schildert, der Hannibals Passage nachvollzog und sich in heute verlorenen Quellen sowie bei Zeitgenossen mit den Fakten eindeckte. Auf dem breiten Joch der zwei Pässe, dem “promontorium”, zeigte Hannibal bei klarem Wetter Anfang November seinen erschöpften Truppen die Poebene und versprach ihnen die ReichtĂĽmer Roms. Dazu kam es trotz Hannibals Siegessträhne gegen die römischen Legionen nie; warum der listige Fuchs den letzten Angriff auf die Hauptstadt nicht wagte, ist unbekannt. – Wir stehen im August im Nebel auf dem “promontoire” und wollen dem kundigen Begleiter gern glauben, wo Gallia cisalpina und das Gebiet der Taurini (Turin) liegt; an einen Abstieg durch die kalte Suppe ist nicht zu denken.

Am Abendtisch im Chalet Lavis-Trafford fragen französische und belgische Gäste nach “Hannibals Spuren”. Die gibt es nicht, denn archäologische Ausgrabungen im Hochgebirge wären kaum finanzierbar. Man fragt zurĂĽck, warum denn wohl kaum jemand den Hannibal-Zug als regionalen Höhepunkt verwerte. Die anderen Gäste sind jedenfalls nicht, wie der Schweizer, Hannibals wegen hier. Elefanten im Hochgebirge, da stimmen sie zu, das wäre erstklassige Werbung, umso mehr als sie hören, dass schon dreimal kleine Expeditionen mit Dickhäutern verschiedene Routen mit unterschiedlichem Erfolg getestet haben.

Nicht national und allzu kriegerisch
Ein Bergwanderer aus Paris gibt eine überzeugende Antwort. Er meint, die französische Geschichte im engen nationalen Sinn dominiere in den Schulen derart, dass neben den Königen von Chlodwig bis Ludwig XIV. und der Revolution oder Bonaparte kaum Zeit für weitere Zusammenhänge bleibe. Eine Gymnasiastin aus der Provence bestätigt, sie habe sogar, als Rom im Lycée an der Reihe war, nie etwas von Hannibal gehört. Die Geschichte gehöre wohl immer den Siegern, wirft ihre Mutter ein, und das waren die Römer. Eine Belgierin ergänzt, die zwei Weltkriege beschäftigten uns noch sehr.

Vielleicht sind Kriege an sich nicht mehr gefragt als Thema. Ein noch so brillanter nordafrikanischer Stratege und Staatsmann aus einer untergegangenen Kultur und Ethnie wie Hannibal aus dem Geschlecht der Barkiden taugt vielleicht deshalb nicht als Werbeträger. Aber auch als Mensch und Charakter ist er zu wenig fassbar – das wusste die Historiographie der Sieger zu verhindern. Oder es werden vorwiegend Hannibals negative Eigenschaften wie TĂĽcke und Geldgier kolportiert. Von Augustinus bis Machiavelli, von Napoleon bis Ranke waren alle, die sich ĂĽber den Karthager äusserten, in erster Linie Kinder ihrer eigenen Zeit. Erst der grosse Toynbee hat ihn in die Universalgeschichte aufgenommen. Da liegt ein weites Feld fĂĽr Romanciers fast unbeackert.

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Autor: Urs

Würde mich eher als Tourenfahrer bezeichnen. Radfahren war schon in der Jugendzeit meine Leidenschaft. Doch auch dann schon eher für lange Ausflüge. Mit der Zeit gesellten sich die Fotographie dazu und teilweise beruflich bedingt auch das Interesse an IT, an Software. Damit war der Grundstein für dieses Weblog gelegt. Seit dem Jahre 2004 schreibe ich hier ziemlich regelmässig über meine Fahrten.

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